Einleitung – medizinisches Cannabis in Deutschland
Nachdem am 1.4.2024 Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen wurde, und am selben Tage zahlreiche neue Tele-Kliniken wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, war es nicht verwunderlich, dass sich der Import von medizinischem Cannabis Blüten im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr auf 72 t mehr als verdoppelt hat. Die neuen Zahlen für 2025 laufen auf eine Summe von 120-140 t hinaus.
Geht man, wie eine ältere Schätzung des Bund Deutscher Kriminalbeamter ergab, von einem Gesamtbedarf in Deutschland von 500-700 t aus, versorgt die medizinische Cannabisindustrie bereits ein Viertel des potenziellen Marktes in Deutschland.
Dabei ist die Erlangung eines Rezeptes und anschließend der Erhalt der verordneten Cannabisprodukte nicht nur ziemlich einfach und unbürokratisch zu erreichen, sondern sie ist auch extrem schnell. Hintergrund hierfür ist, dass von den Telemedizin-Plattformen Cannabis hauptsächlich Fragebögen verwendet werden, die der Patient ausfüllen muss, und die oftmals an einen Arzt im EU-Ausland übersandt werden. Dieser Arzt genehmigt dann das Rezept, und die im Einzelfall ausgewählte Apotheke versendet das Produkt innerhalb kürzester Zeit. Ein persönlicher Arzt Kontakt findet dabei nicht statt, weder durch eine Videosprechstunde noch durch eine E-Mail-Kommunikation.
Der Referentenentwurf
Zu erwarten war, wenn auch nicht zu schnell, dass bei dieser Praxis die neue Bundesregierung auf den Plan tritt. So hat Bundesgesundheitsministerin Warken im Juni 2025 einen Referentenentwurf vorgestellt, der für die Verordnung von Cannabis, aber ausschließlich die getrocknete Blüte betreffend, § 3 MedCanG ändern will und zwingend zumindest einen persönlichen Arztbesuch in der Praxis vor Ort pro Jahr vorschreibt. Folgeverschreibungen sollen dann wieder online erfolgen können. Für die getrocknete Blüte soll zudem ein Versandverbot gelten, sodass Patienten jeweils vor Ort Cannabis über ihre Apotheke beziehen müssen. Grund für diese Gesetzesänderung soll der massive Missbrauch von Verschreibungen für medizinisches Cannabis, das nicht für den normalen Konsum gedacht sei, sondern nur für Menschen, dies wegen schwerer Erkrankungen gesundheitlich brauchen. Konkreter geht der Referentenentwurf auf den Missbrauchsvorwurf allerdings nicht ein.
Rechtsprechung und Literatur
Rechtlich zeichnet sich ab, dass es vor allem um den Behandlungsbegriff und die rechtmäßige Verschreibung gemäß § 3 MedCanG geht, und ob eine ärztliche Fernbehandlung, die ausschließlich über Kommunikationsmedien erfolgt, ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt wahrt, § 7 MBO-Ä (Musterberufsordnung Ärztinnen und Ärzte).
Das Verwaltungsgericht Gießen (Urteil vom 28.4.2021, 21 K 4779/19 GLB) und das hamburgische Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom 15.12.2022, 3 Bs 78/22) haben im Falle von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits verneint, dass eine ärztliche Behandlung vorliegt, wenn die Krankschreibung lediglich auf Grundlage eines ausgefüllten und ausgewerteten Fragebogens erfolgt.
Ähnlich haben zuletzt das Landgericht Hamburg (Urteil vom 11. März 2025, 406 HKO 68/24) und das Landgericht München I (Urteil vom 2.6.2025, 4 HK O 11377/24) in Zusammenhang mit § 9 HWG (Heilmittelwerbegesetz) entschieden, dass es nicht der ärztlichen Sorgfalt entspricht, medizinisches Cannabis nur im Rahmen einer Fernbehandlung zu verschreiben. Zuvor hatte bereits das OLG Köln (Urteil vom 10.6.2022, 6 U 204/21) ähnlich bei ausschließlicher Behandlung mittels Fragebogen im Falle der Shop-Apotheke entschieden.
Damit besteht die Gefahr, dass die Verschreibung durch den Arzt, der keine vorgehende Behandlung durchführt und lediglich aufgrund eines Fragebogens Cannabis verschreibt, bereits entgegen § 3 Abs. 1 MedCanG erfolgt. Denn eine Verschreibung ohne Behandlung könne keine ordnungsgemäße Verschreibung darstellen. Damit läge dann ein strafrechtlicher Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Nr. 2 MedCanG vor, und zwar auch beim Apotheker, der auf der Grundlage eines solchen Rezeptes medizinisches Cannabis an Patienten abgibt. Insofern dürfte der Vorsatz beim pharmazeutischen Personal in der Apotheke regelmäßig fehlen. Beim Apotheker allerdings, der standardmäßig mit Telemedizin-Plattformen zusammenarbeitet, wo offensichtlich ist, dass ausschließlich Verschreibungen auf Grundlage eines Fragebogens erfolgen, sieht das anders aus. Ebenso ist gemäß § 25 Abs. 6 MedCanG auch die fahrlässige Begehungsweise mit Strafe bedroht. Hinzu kommen die verschiedensten Möglichkeiten der Staatsanwaltschaften, die Einziehung der Taterträge nach dem Bruttoprinzip vorzunehmen.
Die Plattformbetreiber selbst machen sich dann einer Anstiftung strafbar.
Das ist im Wesentlichen die Position des Verbandes der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA), die im Juni ein strafrechtliches Gutachten von Rechtsanwalt Dr. Matthias Brockhaus veröffentlicht haben. Ähnlich argumentiert Dr. Morton Douglas in seinem Artikel in der A&R 2024, 304, „Im Rausch der Blüten“.
Diese Auffassung ist grundsätzlich nachvollziehbar, obwohl in § 3 MedCanG der Begriff der Behandlung nicht tatbestandsmäßig erwähnt ist. Gerichtsentscheidungen hierzu liegen noch nicht vor. Aber wie wir gesehen haben, ist die Strafverfolgung bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen sehr flexibel und mitunter auch überengagiert, sobald es zum Thema Cannabis kommt. So konnten wir das bei den CBD-Blüten sehen, bei der Durchsetzung der Novel-Food-Verordnung bei CBD-Ölen, und zuletzt bei den Stecklingen. Und sobald in einem Strafverfahren ein erstes, entsprechendes Urteil gefällt wird, manifestiert sich die Rechtssprechung mitunter sehr schnell.
Aufgrund der bestehenden Rechtslage wäre es daher bereits jetzt möglich, gegen dieses Geschäftsmodell vorzugehen. Sollte sich die Rechtslage nicht ändern, zum Beispiel weil die Koalition sich nicht auf eine Gesetzesänderung einigen kann, ist damit auch durchaus zu rechnen.
Den verschreibenden Ärzten ist deshalb dringend anzuraten, standardmäßig zumindest irgendeine Art von verpflichtender Kommunikation mit dem Patienten durchzuführen. Apothekern ist anzuraten, die Zusammenarbeit mit Telemedizin-Plattformen abzulehnen, die ausschließlich Verschreibungen vermitteln, die lediglich auf einer Fragebogenlösung aufbauen. So wird zumindest das strafrechtliche Risiko der fehlenden Behandlung und der Verschreibung entgegen § 3 MedCanG vermieden. Und einen etwaigen Verstoß gegen § 7 Abs. 4 MBO-Ä haben die Apotheken nicht zu befürchten, da er sie nicht adressiert.
Kommunikation als Lösung?
Angesichts dieser enormen Risiken der Marktteilnehmer sollte die Chance einer Gesetzesänderung genutzt werden, um im Versorgungssystem medizinisches Cannabis für Rechtssicherheit zu sorgen.
Eine einfache und verhältnismäßige Lösung, im Vergleich zum Referentenentwurf, wäre das Tool der obligatorischen Videosprechstunde, die gesetzlich eingeführt werden sollte und mindestens am Beginn der Behandlung, oder auch einmal im Jahr durchgeführt werden muss. Dann wäre auch eine Behandlung durchgeführt worden, sodass Folgeverschreibungen wieder online möglich sind. Und Ärzte, Apotheker und Plattformen müssen nicht befürchten, aufgrund der Auslegung des Begriffs der rechtmäßig erfolgten Verschreibung gemäß § 3 MedCanG irgendwann doch strafrechtlich belangt zu werden, wenn die Justizbehörden ernsthaft und mit konzertierten Aktionen gegen dieses Geschäftsmodell vorgehen sollten.
Das Problem der fehlenden Behandlung trifft nicht nur die Verschreibung von medizinischem Cannabis, sondern gilt für die gesamte Telemedizin. Der Gesetzgeber sollte deshalb eine Lösung finden, die alle Fälle in diesem Problembereich abdeckt, und nicht nur ein Lex Specialis „medizinische Cannabisblüte“ ist. Sofern die Videosprechstunde ausdrücklich, sei es in § 3 MedCanG oder in einem anderen, generellen Lösungsansatz (zum Beispiel im AMG -Arzneimittelgesetz) verankert wird, ist darüber hinaus sichergestellt, dass sie auch mit dem ärztlichen Standard und der ärztlichen Sorgfalt im Sinne von § 7 MBO-Ä vereinbar ist, was auch den Ärzten zusätzliche Rechtssicherheit bietet.
Auch der von Bundesgesundheit Ministerin Wacken erhobene Vorwurf des Missbrauchs wäre dann auch nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Versandhandel
Das Verbot des Versandhandels macht überhaupt keinen Sinn, und wäre eine Verschlechterung des Zustandes zu dem vor Inkrafttreten des CanG im Jahr 2024. Warum Patienten, die nach erfolgter „Behandlung“ und Verschreibung eines Rezeptes für medizinische Cannabisblüten auf den Weg zur Apotheke vor Ort oder wohlmöglich noch weiter entfernt, da ein entsprechendes Vorhalten nicht immer in der nächsten Apotheke erfolgen wird, gezwungen werden, erschließt sich nicht. Weder aus gesundheitspolitischen noch aus rechtspolitischen Gründen ist ein Verbot des Versandhandels erforderlich, geschweige denn verhältnismäßig!
Ausreichend Gesetze da!
Die weiteren Verstöße der beteiligten Unternehmen an der Versorgung der Bevölkerung mit medizinischem Cannabis, zum Beispiel Werbeverbote, das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt bei Ärzten und Apothekern, Niederlassungspflichten und Verstöße gegen die ärztliche Unabhängigkeit, lassen sich durch intelligente und rechtskonforme Gestaltungen des Geschäftsmodells vermeiden, dass bestehende rechtliche Instrumentarium hierfür ist vorhanden und ausreichend.
Wenn Wettbewerb, Verbände, Behörden und letztendlich die Gerichte konsequent auf die Einhaltung und Durchsetzung des vorhandenen, rechtlichen Rahmens achten, würde sich die derzeit aufgeregte Diskussion langsam, aber sicher wieder beruhigen, insbesondere mit einer Klarstellung zur verpflichtenden, jährlichen Videosprechstunde.
Das Ende der getrockneten Blüte?
Die darüberhinausgehenden Forderungen von gewissen Pharmazeuten und medizinischen Fachverbänden, die medizinische Cannabisblüte aus der Verordnungsfähigkeit zu streichen, schießen weit über das Ziel hinaus. Schwerkranke Patienten haben sich 2016 vor Gericht das Recht erstritten, ihre medizinischen Cannabisblüten selbst anzubauen, worauf hin 2017 das Cannabis-als-Medizin Gesetz eingeführt wurde. Seit 2017 können medizinische Cannabisblüten verschrieben und über Apotheken abgegeben werden, obwohl keine klinische Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz erfolgte. 2024 wurde mit der Herausnahme von Cannabis aus dem BtMG das zweite Mal die bewusste Entscheidung vom Gesetzgeber getroffen, Cannabis als Rezepturarzneimittel mit noch weniger Anforderungen (kein BtM-Rezept mehr, normale Sicherungsmaßnahmen, Wegfall der Risikoabwägung etc.) zu ermöglichen.
Im Vergleich zu den seit den siebziger Jahren geltenden Vorschriften für zugelassene Fertigarzneimittel, deren Sicherheit und Wirksamkeit in umfangreichen klinischen Studien nachgewiesen werden müssen, stellt das einen Systembruch dar. Mit diesem Systembruch müssen wir jetzt leben und lernen umzugehen, denn auch die medizinische Cannabisblüte zur Inhalation zeigt jeden Tag bei zahllosen Patienten ihre medizinische Wirksamkeit, auch wenn es noch nicht in klinischen Studien abschließend belegt sein mag. Der verbissene Kampf gegen die medizinische Cannabisblüte und die Verteidigung des Heiligen Grals der Arzneimittelzulassung sind rational kaum noch nachzuvollziehen, und mit einer modernen und therapieoffenen medizinischen Versorgung nicht zu vereinbaren.