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Betreff: Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung– Verkehrsfähigkeit von CBD-Blüten als pflanzliches Raucherzeugnis wird nun vom Gericht geprüft
In Luxemburg, Österreich und Belgien sind unverarbeitete Nutzhanfprodukte wie CBD-Blüten und Hanfblättertee frei verkehrsfähig. Unserem Büro liegen entsprechende, amtliche Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen aus diesen Ländern vor.
Auch deutsche Händler können sich deshalb auf den Grundsatz des freien Warenverkehrs gemäß Art. 34 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) berufen, wenn sie CBD-Blüten in den Verkehr bringen wollen. Um der Geltung des Europarechts seine volle Wirksamkeit zu verleihen, haben die Mitgliedstaaten gemäß einer entsprechenden EU-Verordnung Verfahren eingeführt, um die Verkehrsfähigkeit von Produkten, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat frei handelbar sind, schnell und unbürokratisch feststellen zu lassen. Hochpreisige CBD Blüten in Kleinstverkaufsmengen sind pflanzliche Raucherzeugnisse, die nach der Tabakproduktrichtlinie zu regulieren sind, wie auch in Belgien und Luxemburg geschehen. Hierfür bietet § 40 Tabakerzeugnisgesetz die Möglichkeit, beim BVL einen Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung zu stellen, mit der festgestellt wird, dass diese Produkte auch in Deutschland verkehrsfähig sind.
Diesen Antrag haben wir am 26.3.2021 beim zuständigen Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für einen unserer Mandanten eingereicht.
Beabsichtigt ist die Einfuhr von Nutzhanfblüten als pflanzliches Raucherzeugnis von der Firma Buddy Belgium aus Belgien, die diese Nutzhanfblüten zuvor aus der Schweiz von der Firma The Botanicals AG importiert hat.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat nunmehr diesen Antrag mit Bescheid vom 26.7.2021 abgelehnt. Begründet wurde die Ablehnung allein damit, dass es sich bei den CBD-Blüten als pflanzliches Raucherzeugnis um Betäubungsmittel handeln soll, da ein Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen werden könne.
Deshalb hat unser Büro heute einen Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung beim zuständigen Verwaltungsgericht in Braunschweig eingereicht. Das Verwaltungsgericht Braunschweig muss nun zunächst im Rahmen eines Eilverfahrens prüfen, ob die Rechte der Antragstellerin durch den verweigerten Erlass der Allgemeinverfügung unzulässig beschränkt werden, und das überlagernde Europarecht verletzt wird.
Mit einem entsprechenden Beschluss ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Anschließend wird in das Hauptsacheverfahren übergegangen.
Zum Hintergrund:
Bisher gab es in der juristischen Literatur und in der Rechtsprechung der OLGs die Auffassung, dass keinerlei Hanfprodukte zu Konsumzwecken an den Endverbraucher abgegeben werden dürfen, seien es unverarbeitete Produkte wie Hanfblättertee oder CBD-Blüten, oder verarbeitete Produkte wie CBD-Öle oder sogar CBD-E-Liquids. Die oberen Bundesbehörden wollten dagegen verarbeitete Produkte schon immer nur nach sektoralen Vorschriften beurteilt wissen und nicht nach dem BtMG. Aktuell laufen mehrere Verfahren selbst gegen Händler von Hanfblättertee, der seit Jahrzehnten im deutschen Einzelhandel angeboten wird. Vertritt man diese strenge Auslegung des BtMG, ist das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden insoweit nur konsequent.
Diese obergerichtliche Rechtsprechung hat der BGH am 24.3.2021 (Urteil vom 24. März 2021 – 6 StR 240/20) im sogenannten Hanfbar-Fall aber nun kassiert, indem er klargestellt hat, dass grundsätzlich auch unverarbeitete Hanfprodukte an den Endverbraucher abgegeben werden können, wenn der Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen ist. Und hier liegt das Problem: der BGH hat in der zitierten Hanfbar-Entscheidung nämlich auch festgestellt, dass das Landgericht Braunschweig den Missbrauch zu Rauschzwecken rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Dort wurde angenommen, dass eine potenzielle Rauschwirkung und damit ein Missbrauch einzig und allein bei oraler Einnahme der Hanfblüten in Form vom Gebäck besteht. Wenn man 15g der Nutzhanf-Blüten in einen handelsüblichen Brownie mit einem Gewicht bis 90 g verarbeiten würde, wäre eine sofortige Aufnahme von 15 mg THC über den Magen möglich (allerdings bei Kosten um die ca. 150 € pro Verzehreinheit).
Sollte diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Missbrauch zu Rauschzwecken“ Bestand haben, wären die Produkte immer noch nicht frei verkehrsfähig und würden nicht unter die Ausnahmeregelung der Anlage 1 des BtMG fallen, da bei diesem absurden Beispiel einer anderen Verwendungsart ein Missbrauch zu Rauschzwecken niemals ausgeschlossen werden kann.
An diesem bestimmten Punkt bleibt die Situation also weiterhin unklar und wird durch ein weiteres gerichtliches Verfahren geklärt werden müssen, dass KFN+ nun vor dem VG Braunschweig angestrengt hat.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 19.11.2020 (Rechtssache C-663/18) einen wichtigen Rechtsgedanken geäußert: Hanfextrakte, und das darin enthaltene CBD, sind keine Betäubungsmittel, denn nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft ist nicht ersichtlich, dass sie eine berauschende Wirkung haben oder sonst eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen. Diese Feststellung, insbesondere im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit innerhalb der Mitgliedsländer, einem der wichtigsten Rechtsgrundsätze der EU, wird bei der Beurteilung der Verkehrsfähigkeit von Nutzhanf als auch in strafgerichtlichen Verfahren von den Behörden und Gerichten der Mitgliedsländer zu beachten sein. Insofern geht man von einer de-facto Präjudizwirkung bei Urteilen des EuGHs aus.
Aus dem Wortlaut des § 40 TabakErzG ergibt sich, dass das BVL die materielle Beweislast dafür trägt, dass dem Inverkehrbringen zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen. Die zwingendenden Gründe des Gesundheitsschutzes müssen hierbei in jedem Fall über die typischen Gefahren des Konsums von Erzeugnissen, die dem Tabakrecht unterliegen, hinausgehen. Die lebensfremden Annahmen der Rechtsprechung, wie eben erläutert (150 € Brownie für Rauschwirkung mit 15 mg THC), werden im Rahmen der erforderlichen, europarechtskonformen Auslegung des Gesundheitsschutzes nicht herangezogen werden können. Denn so würde der freie Warenverkehr weiterhin behindert werden, und das Europarecht nicht zu seiner vollen Geltung gelangen können.
Ein Missbrauch zu Rauschzwecken muss bei Nutzhanf-Produkten generell als ausgeschlossen gelten. Auch der Bundesgerichtshof hat in dem eben zitierten Urteil auf ein Gutachten des Bundesgesundheitsministeriums aus dem Jahre 1996 verwiesen, nach dem ein Missbrauch zu Rauschzwecken bei Nutzhanf nicht zu erwarten sei.
Die Allgemeinverfügung, sobald sie erlassen ist, hat eine Wirkung für und gegen jedermann. Jeder Unternehmer wird sich auf die Allgemeinverfügung berufen können, und auch jeder Betroffene in einem derzeit anhängigen Strafverfahren.
Für einen anderen Mandanten von uns haben wir ebenfalls einen Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung beim BVL gestellt, und zwar nach § 54 LFGB. Bei den Produkten handelt es sich um Hanfblättertee aus Österreich, der dort ebenfalls frei verkehrsfähig ist. Hier hat das BVL mitgeteilt, dass es noch weitere Rücksprachen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, beim Bundesinstitut für Risikobewertung sowie beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizintechnik halten muss. Mit einer Entscheidung ist Ende August zu rechnen.
Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann, KFN+ Law Office
Rechtsanwalt Michael Lito Schulte, cannabizz.law
English version:
Subject: Application for a general ruling – marketability of CBD flowers as a herbal smoking product is now being examined by the court.
In Luxembourg, Austria and Belgium, unprocessed industrial hemp products such as CBD flowers and hemp leaf tea are freely marketable. Our office has the corresponding official marketability certificates from these countries.
German traders can therefore also invoke the principle of free movement of goods in accordance with Article 34 of the Treaty on the Functioning of the European Union (TFEU) if they wish to place CBD flowers on the market. In order to give full effect to the validity of European law, the Member States have introduced procedures in accordance with a corresponding EU regulation to establish the marketability of products that are freely tradable in another EU Member State quickly and unbureaucratically. High-priced CBD flowers sold in very small quantities are herbal tobacco products that have to be regulated according to the Tobacco Products Directive, as is also the case in Belgium and Luxembourg. Section 40 of the Tobacco Products Act (Tabakerzeugnisgesetz) offers the possibility to apply to the Federal Office of Consumer Protection (BVL) for a general decree stating that these products can also be marketed in Germany.
We submitted this application to the Federal Office of Consumer Protection and Food Safety (BVL) on behalf of one of our clients on 26 March 2021.
The intention is to import hemp flowers as a herbal smoking product from the company Buddy Belgium from Belgium, which had previously imported these hemp flowers from Switzerland from the company The Botanicals AG.
The Federal Office of Consumer Protection and Food Safety rejected this application by decision of 26 July 2021. The sole reason for the rejection was that the CBD flowers, as a herbal smoking product, are supposed to be narcotics, as misuse for intoxicating purposes could not be ruled out.
Therefore, our office has today filed an application for a regulatory order with the competent administrative court in Braunschweig. The Administrative Court of Braunschweig must now first examine, within the framework of summary proceedings, whether the applicant’s rights are inadmissibly restricted by the refusal to issue the general order and whether the overriding European law is violated.
A corresponding decision is expected in the next few weeks. Subsequently, the main proceedings will be initiated.
Background:
Until now, the legal literature and the case law of the Higher Regional Courts were of the opinion that no hemp products whatsoever may be sold to the end consumer for consumption purposes, be it unprocessed products such as hemp leaf tea or CBD flowers, or processed products such as CBD oils or even CBD e-liquids. The upper federal authorities, on the other hand, have always wanted processed products to be judged only according to sectoral regulations and not according to the BtMG. Currently, several proceedings are underway even against traders of hemp leaf tea, which has been offered in the German retail trade for decades. If one follows this strict interpretation of the BtMG, the action of the prosecution authorities is only consistent.
However, on 24 March 2021 (judgement of 24 March 2021 – 6 StR 240/20), the Federal Supreme Court (BGH) overturned this case law of the higher courts in the so-called Hanfbar case by clarifying that, in principle, unprocessed hemp products can also be sold to the end consumer if abuse for intoxication purposes is excluded. And this is where the problem lies: in the cited Hanfbar decision, the BGH also found that the Regional Court of Braunschweig had established abuse for intoxication purposes without any legal error. There, it was assumed that a potential intoxicating effect and thus misuse exists solely in the case of oral ingestion of the hemp flowers in the form of biscuits. If 15g of the industrial hemp flowers were processed into a commercial brownie with a weight of up to 90g, an immediate absorption of 15mg THC via the stomach would be possible (however, at a cost of about 150 € per unit of consumption).
If this interpretation of the constituent element „abuse for intoxicating purposes“ were to hold, the products would still not be freely marketable and would not fall under the exemption of Schedule 1 of the BtMG, as abuse for intoxicating purposes can never be ruled out in this absurd example of a different type of use.
At this particular point, the situation therefore remains unclear and will have to be clarified by further legal proceedings, which KFN+ has now brought before the VG Braunschweig.
In its ruling of 19.11.2020 (Case C-663/18), the ECJ expressed an important legal idea: Hemp extracts, and the CBD contained therein, are not narcotics, because according to the current state of knowledge, it is not evident that they have an intoxicating effect or otherwise pose a risk to human health. This finding, especially in connection with the free movement of goods within the member states, one of the most important legal principles of the EU, will have to be taken into account by the authorities and courts of the member states when assessing the marketability of industrial hemp as well as in criminal proceedings. In this respect, a de facto precedent effect is assumed for ECJ rulings.
It follows from the wording of § 40 of the Law on Tobacco Products that the BVL bears the material burden of proof that compelling reasons of health protection oppose the placing on the market. The compelling reasons of health protection must in any case go beyond the typical dangers of the consumption of products that are subject to tobacco law. The unrealistic assumptions of the case law, as just explained (150 € brownie for intoxication with 15 mg THC), cannot be used within the framework of the necessary interpretation of health protection in conformity with European law. This would continue to hinder the free movement of goods and European law would not be able to achieve its full validity.
Abuse for intoxicating purposes must generally be ruled out in the case of industrial hemp products. In the above-mentioned judgement, the Federal Court of Justice also referred to an expert opinion of the Federal Ministry of Health from 1996, according to which an abuse for intoxicating purposes of industrial hemp was not to be expected.
The general ruling, as soon as it is issued, has an effect for and against everyone. Every entrepreneur will be able to invoke the general decree, and also every person concerned in criminal proceedings that are currently pending.
For another client of ours, we have also filed an application for the issuance of a general decree at the BVL, namely according to § 54 LFGB. The products in question are hemp leaf tea from Austria, which is also freely marketable there. The BVL has informed us that it still has to consult the Federal Ministry of Food and Agriculture, the Federal Institute for Risk Assessment and the Federal Office for Drugs and Medical Technology. A decision is expected at the end of August.
Lawyer Kai-Friedrich Niermann, KFN+ Law Office
Attorney Michael Lito Schulte, cannabizz.law