Press Release: Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung – Verkehrsfähigkeit von Hanf-blättertee als Lebensmittel wird nun vom Gericht geprüft – Application for a general ruling – marketability of hemp leaf tea as a food-stuff is now being examined by the court

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KFN+

Pressemitteilung

Press Release

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Betreff: Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung – Verkehrsfähigkeit von Hanfblättertee als Lebensmittel wird nun vom Gericht geprüft

 

In Luxemburg, Österreich und Belgien sind unverarbeitete Nutzhanfprodukte wie  ein Hanfblättertee frei verkehrsfähig. Unserem Büro liegen entsprechende, amtliche Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen aus diesen Ländern vor.

 

Auch deutsche Händler können sich deshalb auf den Grundsatz des freien Warenverkehrs gemäß Art. 34 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) berufen, wenn sie Hanfblättertee in den Verkehr bringen wollen. Um der Geltung des Europarechts seine volle Wirksamkeit zu verleihen, haben die Mitgliedstaaten gemäß einer entsprechenden EU-Verordnung Verfahren eingeführt, um die Verkehrsfähigkeit von Produkten, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat frei handelbar sind, schnell und unbürokratisch feststellen zu lassen. Hanfblättertee ist als Lebensmittel gemäß der Lebensmittelgrund-Verordnung einzustufen. Hierfür bietet § 54 LFGB die Möglichkeit, beim BVL einen Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung zu stellen, mit der festgestellt wird, dass diese Produkte auch in Deutschland verkehrsfähig sind.

 

Diesen Antrag haben wir am 22.4.2021 beim zuständigen Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für einen unserer Mandanten eingereicht.

 

Beabsichtigt ist die Einfuhr von Hanfblättern für verschiedene Teeprodukte (100% Hanfblättertee„Natur“ und eine Hanfteemischung), jeweils aus Österreich.

 

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat nunmehr diesen Antrag mit Bescheid vom 22.9.2021 abgelehnt. Begründet wurde die Ablehnung allein damit, dass es sich bei Hanfblättern um Betäubungsmittel handeln soll, da ein Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen werden könne.

 

Deshalb hat unser Büro heute eine Verpflichtungsklage sowie einen Antrag auf Erlass Regelungsanordnung beim zuständigen Verwaltungsgericht in Braunschweig gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BVL, eingereicht. Das Verwaltungsgericht Braunschweig muss nun zunächst im Rahmen eines Eilverfahrens prüfen, ob die Rechte der Antragstellerin durch den verweigerten Erlass der Allgemeinverfügung unzulässig beschränkt werden, und das überlagernde Europarecht verletzt wird.

 

Mit einem entsprechenden Beschluss ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Anschließend wird in das Hauptsacheverfahren übergegangen.

 

Zum Hintergrund:

 

Bisher gab es in der juristischen Literatur und in der Rechtsprechung der OLGs die Auffassung, dass keinerlei Hanfprodukte zu Konsumzwecken an den Endverbraucher abgegeben werden dürfen, seien es auch nur unverarbeitete Nutzhanfprodukte wie Hanfblättertee Die oberen Bundesbehörden wollten dagegen verarbeitete Produkte schon immer nur nach sektoralen Vorschriften beurteilt wissen und nicht nach dem BtMG. Aktuell laufen mehrere Verfahren gegen Händler von Hanfblättertee, der seit Jahrzehnten im deutschen Einzelhandel angeboten wird. Vertritt man diese strenge Auslegung des BtMG zu Cannabis, ist das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden insoweit nur konsequent.

 

Diese obergerichtliche Rechtsprechung hat der BGH am 24.3.2021 (Urteil vom 24. März 2021 – 6 StR 240/20) im sogenannten Hanfbar-Fall aber nun kassiert, indem er klargestellt hat, dass grundsätzlich auch unverarbeitete Hanfprodukte an den Endverbraucher abgegeben werden können, wenn der Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen ist. Und hier liegt das Problem: der BGH hat in der zitierten Hanfbar-Entscheidung nämlich auch festgestellt, dass das Landgericht Braunschweig den Missbrauch zu Rauschzwecken rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Dort wurde angenommen, dass eine potenzielle Rauschwirkung und damit ein Missbrauch einzig und allein bei oraler Einnahme von Hanfblüten in Form vom Gebäck besteht. Wenn man 15g der Nutzhanf-Blüten in einen handelsüblichen Brownie mit einem Gewicht bis 90 g verarbeiten würde, wäre eine sofortige Aufnahme von 15 mg THC über den Magen möglich (allerdings bei Kosten um die ca. 150 € pro Verzehreinheit).

 

Sollte diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Missbrauch zu Rauschzwecken“ Bestand haben, wären die Produkte immer noch nicht frei verkehrsfähig und würden nicht unter die Ausnahmeregelung der Anlage 1 des BtMG fallen, da bei diesem absurden Beispiel einer anderen Verwendungsart ein Missbrauch zu Rauschzwecken niemals ausgeschlossen werden kann.

 

An diesem bestimmten Punkt bleibt die Situation also weiterhin unklar und wird durch ein weiteres gerichtliches Verfahren geklärt werden müssen, dass KFN+ nun vor dem VG Braunschweig angestrengt hat.


Der EuGH hat in seinem Urteil vom 19.11.2020 (Rechtssache C-663/18) einen wichtigen Rechtsgedanken geäußert: Hanfextrakte, und das darin enthaltene CBD, sind keine Betäubungsmittel, denn nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft ist nicht ersichtlich, dass sie eine berauschende Wirkung haben oder sonst eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen. Diese Feststellung, insbesondere im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit innerhalb der Mitgliedsländer, einem der wichtigsten Rechtsgrundsätze der EU, wird bei der Beurteilung der Verkehrsfähigkeit von Nutzhanf als auch in strafgerichtlichen Verfahren von den Behörden und Gerichten der Mitgliedsländer zu beachten sein. Insofern geht man von einer de-facto Präjudizwirkung bei Urteilen des EuGHs aus.

 

Aus dem Wortlaut des § 54 LFGB ergibt sich, dass das BVL die materielle Beweislast dafür trägt, dass dem Inverkehrbringen zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen. Die lebensfremden Annahmen der Rechtsprechung, wie eben erläutert (150 € Brownie für Rauschwirkung mit 15 mg THC), werden im Rahmen der erforderlichen, europarechtskonformen Auslegung des Gesundheitsschutzes nicht herangezogen werden können. Denn so würde der freie Warenverkehr weiterhin behindert werden, und das Europarecht nicht zu seiner vollen Geltung gelangen können. Dabei ist anerkannt, dass auch strafrechtliche Vorschriften den freien Warenverkehr behindern können.

 

Ein Missbrauch zu Rauschzwecken muss bei Nutzhanf-Produkten generell als ausgeschlossen gelten. Auch der Bundesgerichtshof hat in dem eben zitierten Urteil auf ein Gutachten des Bundesgesundheitsministeriums aus dem Jahre 1996 verwiesen, nach dem ein Missbrauch zu Rauschzwecken bei Nutzhanf nicht zu erwarten sei.

 

Die Allgemeinverfügung, sobald sie erlassen ist, hat eine Wirkung für und gegen jedermann. Jeder Unternehmer wird sich auf die Allgemeinverfügung berufen können, und auch jeder Betroffene in einem derzeit anhängigen Strafverfahren.

 

Für einen anderen Mandanten von uns haben wir ebenfalls einen Antrag auf Erlass einer Allgemeinverfügung beim BVL gestellt, und zwar nach § 40 TabakErzG. Bei diesen Produkten handelt es sich um CBD-Blüten aus Österreich, die dort ebenfalls frei verkehrsfähig sind. Hier kam das BVL ebenfalls zu dem Schluss, dass es sich um Betäubungsmittel handelt. Die Klage gegen das BVL wurde bereits Ende August beim Verwaltungsgericht Braunschweig eingereicht.

 

 

Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann, KFN+ Law Office

 

 

 

English version

 

Subject: Application for a general ruling – marketability of hemp leaf tea as a foodstuff is now being examined by the court.

 

In Luxembourg, Austria and Belgium unprocessed commercial hemp products such as hemp leaf tea are freely marketable. Our office has received official certificates of marketability from these countries.

 

Therefore, German traders can also refer to the principle of free movement of goods according to Art. 34 of the Treaty on the Functioning of the European Union (TFEU) if they want to market hemp leaf tea. In order to give full effect to the validity of European law, the member states have introduced procedures in accordance with a corresponding EU regulation in order to quickly and unbureaucratically determine the marketability of products that are freely tradable in another EU member state. Hemp leaf tea is to be classified as a foodstuff according to the Basic Food Regulation. For this purpose, § 54 LFGB offers the possibility to apply to the BVL for a general decree stating that these products are also marketable in Germany.

 

We submitted this application to the responsible Federal Office for Consumer Protection and Food Safety (BVL) for one of our clients on 22.4.2021.

 

It is intended to import hemp leaves for different tea products (hemp tea “Nature” and a hemp tea blend), both from Austria.

 

The Federal Office of Consumer Protection and Food Safety has now rejected this application with notice dated 22.9.2021. The rejection was justified solely on the grounds that hemp leaves are narcotics since abuse for intoxication purposes could not be ruled out.

 

Therefore, our office submitted today an law suit against the Federal Republic of Germany, represented by the BVL, as well as an application for decree regulation order with the responsible administrative court in Braunschweig. The Administrative Court in Braunschweig must now first examine, within the framework of summary proceedings, whether the rights of the applicant are inadmissibly restricted by the refusal to issue the general ruling, and whether the overriding European law is violated.

 

A corresponding decision is expected in the next few weeks. Subsequently, the main proceedings will be initiated.

 

Background:

 

Until now, there was the opinion in the legal literature and in the case law of the OLGs that no hemp products whatsoever may be sold to the end consumer for consumption purposes, be it even unprocessed products such as hemp leaf tea. The upper federal authorities, on the other hand, have always wanted processed products to be judged only according to sectoral regulations and not according to the BtMG. Currently, several proceedings are underway against distributors of hemp leaf tea, which has been offered in German retail stores for decades. If this strict interpretation of the BtMG is applied to cannabis, the action of the prosecution authorities is only consistent.

 

However, on March 24, 2021, the Federal Court of Justice (BGH) overturned this case law in the so-called Hanfbar case (ruling of March 24, 2021 – 6 StR 240/20) by clarifying that, in principle, unprocessed hemp products can also be sold to the end consumer if abuse for intoxication purposes is ruled out. And this is where the problem lies: in the cited Hanfbar decision, the BGH also found that the Regional Court of Braunschweig had established abuse for intoxication purposes without any legal error. There it was assumed that a potential intoxicating effect and thus an abuse exists solely in the case of oral ingestion of the hemp flowers in the form of pastries. If one would process 15g of the commercial hemp flowers into a commercial brownie with a weight up to 90g, an immediate absorption of 15 mg THC would be possible over the stomach (however with costs around the approx. 150 € per consumption unit).

 

If this interpretation of the crime of „abuse for intoxication purposes“ were to hold, the products would still not be freely marketable and would not fall under the exemption of Annex 1 of the BtMG, as abuse for intoxication purposes can never be ruled out in this absurd example of a different type of use.

 

At this particular point, therefore, the situation remains unclear and will have to be clarified by further legal proceedings that KFN+ has now brought before the VG Braunschweig.

 

In its judgment of 19.11.2020 (Case C-663/18), the ECJ expressed an important legal idea: Hemp extracts, and the CBD contained therein, are not narcotics, because according to the current state of knowledge, it is not evident that they have an intoxicating effect or otherwise pose a risk to human health. This finding, especially in connection with the free movement of goods within the member states, one of the most important legal principles of the EU, will have to be taken into account by the authorities and courts of the member states when assessing the marketability of commercial hemp as well as in criminal proceedings. In this respect, a de facto precedent effect is assumed for ECJ rulings.

 

It follows from the wording of § 54 LFGB that the BVL bears the material burden of proof that compelling reasons of health protection oppose the placing on the market. The unrealistic assumptions of the case law, as just explained (150 € brownie for intoxication with 15 mg THC), cannot be used in the context of the necessary interpretation of health protection in conformity with European law. This is because the free movement of goods would continue to be impeded and European law would not be able to achieve its full validity. It is recognized that criminal law provisions can also impede the free movement of goods.

 

Abuse for intoxicating purposes must generally be regarded as excluded in the case of commercial hemp products. In the judgment just cited, the Federal Court of Justice also referred to an expert opinion of the Federal Ministry of Health from 1996 during the hemp reform, which was agreed on in Bundestag by that time, according to which misuse for intoxicating purposes was not to be expected in the case of commercial hemp.

 

The general ruling, as soon as it is issued, has an effect for and against everyone. Any entrepreneur will be able to invoke the general ruling, as will any person affected in criminal proceedings currently pending.

 

For another client of ours, we have also filed an application with the BVL for the issuance of a general ruling under Section 40 of the TabakErzG. These products concern CBD flowers from Austria, which are also freely marketable there. Here, the BVL also came to the conclusion that they are narcotics. The lawsuit against the BVL was already filed at the end of August at the Administrative Court of Braunschweig.

 

 

Attorney Kai-Friedrich Niermann, KFN+ Law Office